So schreibst du eine Szenenanalyse!
Wer kennt es nicht? Es steht eine Hausaufgabe oder eine Klausur an und man soll urplötzlich einen Text in einer Form verfassen, welche einem zwar noch irgendwie bekannt vorkommt … aber eben nicht mehr zu hundert Prozent im Kopf abgespeichert hat. Was nun? Alte Mappen durchblättern? Mitschüler befragen? Dem Lehrer gestehen, dass man keine Ahnung mehr hat, wie genau das funktioniert? Oder doch auf irgendeine ominöse Website gehen, in der Hoffnung, dass das, was dort steht, auch richtig ist?
Im Folgenden erhältst du eine Aneitung und ein anschließendes Beispiel für eine (Szenen-)analyse!
Im Prinzip funktioniert eine Szenenanalyse nicht anders als eine Gedichtanalyse. Es geht darum, die Kernaussage oder Bedeutung der vorgegebene Szene zu deuten und dann im Anschluss deine Hypothese zu beweisen. Das machst du mit Belegen anhand von Seiten- und/oder Zeilenangaben. Denn andernfalls kann der Leser nicht nachvollziehen, woher du deine Aussagen beziehst.
Die Einleitung
In die Einleitung kommt alles, was du von anderen literaturbezogenen Analysen, Interpretationen oder Charakterisierungen bereits kennst. Du legst dem Leser alle wichtigen Eckdaten in ein bis zwei Sätzen dar, die sich auf deine Szene beziehen:
Autor, Titel, Erscheinungsjahr, Akt und Szene (bzw. Aufzug und Auftritt) und grobe Handlung der Szene
Drauf kann dann ggf. eine Kontextuierung in das Stück folgen, um Handlung und Figuren verständlich zu machen. Dazu zählen Ort und Zeit der Handlung, auftretende Figuren und Information zur vorherigen Handlung.
Die Inhaltsangabe
In der Inhaltsangabe fasst du – am besten chronologisch – all das zusammen, was in der Szene passiert. Achte darauf, noch nichts zu deuten und dich nur auf die wichtigsten Punkte zu beziehen! Eine Inhaltsangabe sollte niemals länger sein als die eigentliche Szene selbst.
Die Hypothese
Die Hypothese sollte in der Regel nicht länger als drei Sätze sein. In ihr stellst du deine Theorie zur Bedeutung der Szene dar, welche du im Verlauf der Analyse erarbeitest. Sie enthält die Kernaussage und ist damit der wichtigste Teil deiner Szenenanalyse, da auf ihr alles aufbaut. Am besten bringst du hier auch deine Vermutung zur Epoche des Dramas mit ein.
Mit einer guten Hypothese hast du schon viel gewonnen!
Der Hauptteil
Im Hauptteil geht es nun darum, deine Hypothese mit Belegen zu festigen und schlussendlich zu beweisen. Du gehst den Inhalt dieses Mal deutend und erklärend durch und gibst dabei (immer!) Seiten-/Zeilenangaben.
Dabei gibt es einige Dinge, auf die du eingehen kannst:
Den formalen Aufbau (Relation von Dialog/Monolog zu Regieanweiseungen), das Gesprächsverhalten (wer dominiert und lenkt das Gespräch?), den Gesprächsgegenstand (worum geht es in dem Dialog?), Gesprächsverlauf, Gesprächsart (Plauderei/Diskussion/Streitgespräch/…), rhetorische Figuren (Methaphern, Vergleiche, rhetorische Fragen, Hyperbeln, Emphasen, Ironie, … -> alles, was größere Bedeutung hat), Sprachstil der Figuren (Umgangssprache/Eloquenz/Alltagssprache/Fachjargon, Parataxe/Hypotaxe), gesellschaftlicher Kontext, Intentionen der Figuren, (…)
Das und noch viel mehr kann in eine Szenenanalyse mit eingebracht werden. Achte nur darauf, dass du Erkenntnisse nicht nur aufzählst, sondern auch ihre Funktion beschreibst. So ist es zum Beispiel relevant zu wissen, wieso eine Person rhetorische Figuren verwendet und was diese bedeuten.
Außerdem solltest du aufpassen, nicht zu sehr von deiner eigentlichen Deutung der Hypothese abzuschweifen. Es schadet nie, viel herauszufinden, aber kümmere dich zuerst um alle wichtigen Aspekte.
Der Schluss/ das Fazit
Dein Schlussteil wirkt als eine Art Fazit, in welchem du abschließend deine Hypothese bestätigst oder ggf. korrigierst. Auch Letzteres ist erwünscht, falls du im Laufe deines Hauptteils auf eine andere Deutung gekommen sein solltest.
Du kannst wichtige Aspekte zusammenfassen und somit einen runden Abschluss für deine Analyse liefern. Versuche, nicht einfach nur deinen Hauptteil nachzuerzählen, sondern fasse eher zusammen.
Im bestmöglichsten Fall hast du nun deine Hypothese komplett und schlüssig bewiesen.
Bedenke aber, dass jeder Lehrer Textformen ein wenig anders handhabt. So haben manche Lehrer gerne die Epoche bereits in der Einleiung, anderer hingegen verlangen, dass du sie dir ebenfalls im Hauptteil erarbeitest. Sei also gewarnt, dass dies lediglich eine der vielen Arten ist, wie du deine Szenenanalyse gestalten kannst.
Beispiel für eine Szenenanalyse:
Nathan der Weise – 7. Auftritt des 3. Aufzugs
Im siebte Auftritt des dritten Aufzugs des Dramas „Nathan der Weise“, welches im Mittelalter spielt und 1779 von Gotthold Ephraim Lessing geschrieben wurde, legt die Titelfigur Nathan dem Sultan Saladin seine Antwort auf die Frage nach der einzigrichtigen Religion dar. In dem Auftritt der Tragödie befinden sich der jüdische Nathan und der muslimische Sultan Saladin im Audienzsaal seines Palasts. Nachdem Letzterer Nathan mit der unerwarteten Frage konfrontierte, welche der großen drei monotheistischen Religionen nun die einzig Wahre sei, bekam Nathan im sechsten Auftritt ein wenig Bedenkzeit. Das Ganze sollte eigentlich ein Hinterhalt Saladins sein. Jede Antwort würde Nathan einen unschönen Ausgang bescheren, woraufhin Saladin, welcher in Geldnot steckt, Nathan hätte seines Reichtums bemächtigen können. Doch Nathan hat eine Idee, was er seinem Gegenüber sagen solle. Er habe nun vor, ihn mit einem Märchen abzuspeisen, wie man es mit Kindern tue (Z. 1889 f.). Saladin kehrt zurück und fordert Nathan auf, ihm seine Frage zu beantworten, welcher ihm zuvor eine Geschichte erzählen möchte. Diese handelt von einem Vater, seinen drei Söhnen und einem magischen Ring. Dieser soll nämlich über Generationen immer weitergegeben werden an den allerliebsten Sohn. Er kommt zu einem Vater, der sich zwischen seinen drei Söhnen nicht entscheiden kann und allen dreien den Ring verspricht, weswegen er zwei weitere anfertigen lässt. An seinem Totenbett vergibt er allen dreien je einen Ring, ohne zu wissen, welcher der magische ist. Als jeder der Fürst des Hauses sein möchte, entbrannt sich ein Streit, welcher schließlich vor Gericht ausgetragen, jedoch ohne den verstorbenen Vater nicht gelöst werden kann. Wenn sich die magischen Kräfte nun bei ihren Nachfahren äußern sollten, sollen diese wiederkommen. Der Richter sieht sich nicht in der Lage, dies nun zu entscheiden. Obwohl Saladin anfangs noch empört über Nathans geschicktes Umgehen der Frage war, sieht auch er nun ein, was Nathan zu sagen vermag. Er hat nun Respekt vor Nathan. Dieser versucht nun, ihm das Angebot zu machen, wegen welchem er sich zum Sultan begeben hatte. Er meint, er habe keine Ahnung, wohin mit seinem vielen Geld und fragt, ob Saladin etwas gebrauchen könne, wohlwissend von dessen Schulden. Der Sultan erklärt sich einverstanden; also fädelt Nathan ein, dass der Tempelherr ihm sein Geld bringen kann. Die von Nathan erzählte sogenannte Ringparabel nutzt er, um sich aus seiner misslichen Lage zu befreien. Sie ist aufklärerisch und gleichzusetzen mit Nathans Situation: Nathan ist der Richter, welcher über die Frage nach dem einzig wahren Ring richten soll, die Ringe sind die drei monotheistischen Weltreligionen, die drei Söhne die jeweiligen gläubigen Völker und der Vater ist Gott, welcher sich nicht zu dem Thema äußern kann. Damit veranschaulicht Nathan Saladin, wieso es unmöglich für ihn ist, diese Frage zu beantworten. Denn auch der Sultan ist nicht ein weiserer Richter als Nathan einer ist. Regieanweisungen sind sehr wenige vorhanden, der Dialog nimmt mit Abstand den größten Teil des Auftritts ein. Zu Beginn überwiegt Saladins Anteil im Dialog noch ein wenig. Aber sobald Nathan zu erzählen beginnt (Z. 1911 ff.), dominiert nicht nur sein Anteil, sondern Nathan steuert auch sichtbar das Gespräch. Zuerst legt Nathan lediglich die Grundidee der Parabel dar (Z. 1910-1928) und erzählt dann vom eigentlichen Geschehen und dass nun jeder der drei Söhne einen Ring besäße (Z. 1930-1955). Der Sultan wird daraufhin ungeduldig und erkundigt sich, ob das Märchen denn nun auch bald enden würde (Z. 1956 f.), doch Nathan eröffnet ihm, es sei bereits zu Ende. Er sagt, der folgende Streit erbrachte nicht die Antwort. Nachdem der Sultan nichts zu sagen weiß, bringt Nathan endlich die Verbindung der Ringparabel zur Frage nach dem wahren Glauben, welcher ebenfalls „fast so unerweislich“ sei (Z. 1964 f.). Nun begreift Saladin und Nathan gesteht den Grund für seine ausweichende Antwort; Nathan wagt nicht, die Frage nach der wahren Religion zu beantworten, wenn es doch Gottes Intention war, die drei so identisch zu machen, dass die wahre nicht zu erkennen sei (Z. 1966 ff.). Demnach seien alle drei Religionen gleich und auf gleiche Weise berechtigt, ein sehr aufklärerischer Gedanke. Nun ist Saladin jedoch empört, fühlt sich vermutlich als Moslem angegriffen, immer noch denkend, sein Glaube sei der einzig wahre. Er befiehlt, Nathan solle nicht mit ihm spielen (Z. 1970 ff.), was zeigt, dass er Angst davor hat, seine bisherige vermeidliche Wahrheit zu hinterfragen und seine Weltansicht zerbrechen oder sich umformieren zu sehen. Er erkennt also widerwillig den Sinn hinter Nathans Worten. Er versucht nun, zu argumentieren, wie unterschiedlich Jude, Christ und Moslem seien. Doch Nathan greift ein und lässt den Sultan mit seiner Erklärung verstummen. In dieser zieht er unterschwellig wieder den Bezug zur Ringparabel her. Er fragt, wie er weniger seinen Vätern glauben könnte als der Sultan seinen oder die Christen ihren, wenn doch alle drei von ihnen dieselbe Geschichte erzählt bekommen haben, überliefert und aufgezeichnet über lange Zeit, so identisch wie die drei Ringe es sind. Alle drei lieben und vertrauen sie ihren Vätern. Wie könne eine der drei Wahrheiten nun in Zweifel gezogen werden, wenn doch jeder von ihnen aus vollem Herzen glaubt, was der eigene ihnen erzählte (Z. 1974 ff.)? Als der Sultan nichts zu antworten weiß, führt Nathan das zuvor zusammengefasste Ende der Parabel nun komplett aus. Alle drei Söhne glaubten nicht, dass ihr Vater sie angelogen haben könnte, da seine Liebe zu jedem einzelnen von ihnen aufrichtig war (Z. 1992 ff.). Sultan Saladin ist neugierig geworden – vergleichbar mit einem Kind, welches den Ausgang eines Märchens hören möchte – und verlangt die Worte des Richters zu hören (Z. 2008 f.), wissend, dass Nathan der Schöpfer dieser Worte ist. Der Richter ist in Rage, es sei absurd, eine Zumutung, von ihm die richtige Antwort zu erwarten, ohne ihm hinreichend Information zu geben, dieses Rätsel zu lösen. Denn genau das sei es, ein Rätsel, kein wirklicher Streitfall. Ohne den Vater als Zeugen sehe er sich nicht in der Lage, ihnen zu helfen, solange sich die Macht des Rings nicht zeige. Ihm kommt die Idee, die drei Söhne zu fragen, welcher der anderen ihnen der liebste Bruder sei. Doch sie antworten nicht, zu gierig nach der Macht, dass die Sorge, nicht der Auserwählte zu sein, ihr Verhalten bestimmt. Der Richter macht sich über sie lustig „Die Ringe wirken nur zurück? und nicht nach außen? Jeder liebt sich selber nur am meisten? – O so seid ihr alle drei nur betrogene Betrieger! Der echte Ring vermutlich ging verloren.“ (Z. 2021 ff.). Denn besäße einer von ihnen die besagte Macht, müsse eine Antwort gefunden werden können. Er meint nun, sie seien alle von ihrem Vater betrogen worden und betrügen nun einander und sich selbst. Es folgt des Richters Rat, die Dinge zu belassen, wie sie sind. Sie können nicht herausfinden, was des Vaters Intention gewesen ist, nur spekulieren. Das einzige was sicher sei, ist was sie alle gemein haben: Der Vater hat alle drei gleich geliebt. Sie sollen nun in Frieden und Verträglichkeit weiterleben bis zu dem Tag, an dem sich die Kräfte offenbaren. Dann, so sagt er, sollen ihre Kindes Kinder wiederkommen; es wird ein weiserer Richter seinen Platz einnehmen (Z. 2029 ff.). Was Nathan jetzt tut, ist manipulativ. Er fragt ganz unschuldig den Sultan, ob er sich fühle, dieser weisere Mann zu sein, wissend, wie dessen Antwort ausfallen würde (Z. 2053 f.). Der Sultan ist perplex, dass Nathan die Frage auch nur gestellt hat und verneint. Er sei Staub, er sei nichts (Z. 2058), also nicht würdig, die weise Position des Richters einzunehmen. Nathan fragt, erneut gespielt unschuldig, was Saladin denn habe. Dieser meint, die besagte Zeit bis zu dem, der fähig sei, zu richten, sei noch nicht um. Nathan solle gehen, aber als Freund. (Z. 2060). Nathans intelligente List hat vollends funktioniert. Er konnte den Sultan aufklären und auf seine Seite ziehen, um Frieden zu schaffen. Als der Sultan kein weiteres Wort zu sagen vermag und ihn immer noch nicht nach seinem Geld fragt, gibt Nathan erneut den Bescheidenen. Er sagt, er habe eine Bitte: Er wisse nicht, wohin mit all seinem Vermögen und schlägt vor, es dem Sultan zu geben. Dieser ist sprachlos und beginnt sich für seine hinterlistigen Pläne zu schämen. Er würde ja fragen, ob Al-Hafi schon mit Nathan geredet habe oder ob Nathan sonst einen Argwohn gegen ihn hege, denn er meint, den sei er wert (Z. 2074 ff). Er gesteht ihm, er habe sein Geld haben wollen, worauf Nathan entgegnet, dass sich das doch ganz gut mit seiner Bitte vereinigen würde (Z. 2080 ff.). Bei der Gelegenheit fädelt Nathan ein, das Geld vom Tempelherrn vorbeibringen zu lassen, welcher von Saladin begnadigt worden war und legt dabei gleich ein gutes Wort für diesen ein. Er berichtet, wie dieser seine Tochter aus seinem brennenden Haus rettete (Z. 2093 ff.) und legt dar, wie die Gnade Saladins so durch den Tempelherrn auch auf ihn geflossen sei. Daraufhin ist der Sultan fest entschlossen, den Tempelherren, welcher seinem verstorbenen Bruder so ähnelt, seiner Schwester vorzustellen (Z. 2108 ff.). Beide eilen davon und der siebte Auftritt endet. Es lässt sich also bestätigen, dass das Erzählen der Ringparabel Nathans manipulativer Trick ist, den Sultan zu beschwichtigen, sodass klar wird, dass die Frage nach der richtigen Religion nicht zu beantworten ist. Er redet sich nicht nur selbst aus der Situation heraus, sondern er klärt Saladin auf, sorgt für Frieden und freundet sich sogar mit dem Sultan an.
Ausgabe: G. E. Lessing, Nathan der Weise, Reclam